
Der Kinobetreiber Frank Braun wurde mit dem «Prix d'honneur» der 56. Solothurner Filmtage ausgezeichnet. Die Preisverleihung mit Laudator Phil Hayes wurde am Samstag, 23. Januar 2021 live auf unserer Website übertragen. Lesen Sie hier die Hommage des Regisseurs Jan Gassmann.
Es war bereits Tag geworden und in meiner Erinnerung brach hartes Winterlicht in die von Rauchschwaden durchzogene Bar des Kino Riffraff. Wir waren die Letzten. Das war die Nacht, in der ich Frank Braun richtig kennenlernte. Ein Mann ohne Alter, ohne Haare, aber mit einnehmendem Lächeln. Nebelschwaden seiner Erinnerungen: Eine Flucht nach Italien, besetzte Häuser, seine Jugend in einer fundamental christlichen Familie – die ersten Filme, die ihm von Missionaren vorgeführt wurden, die frühe Vaterschaft, ein angefangenes Studium, Reisen, der Umzug von Winterthur nach Zürich und dann: Kino. Genauer: Die Filmauswahl. Wir haben alle getanzt in dieser Nacht, Frank ist ein guter Tänzer. Er sagt, sein Antrieb war es immer, etwas mit andern zu teilen. In diesem Weihnachtsfest der Neugass Kino AG, teilten wir alle die Freude zusammenzuarbeiten zu dürfen in diesem Kino, das für uns mehr Familie war, als Nebenjob, denn wir glaubten an die Filme.
Einige Jahre früher. «Frank hat deinen Film gesehen, er will ihn spielen.» Wir waren knapp über zwanzig, als wir um Weihnachten einen Umschlag mit dem Rohschnitt von «Chrigu» in seinen Briefkasten warfen. Der Film lief gut. Und trotzdem bleibt der Moment, wo Frank sich zu einem meiner Filme äussert, immer mit grosser Nervosität verbunden. Sein Blick ist unverstellt, seine Feedback klar und ehrlich.
1998. Die Idee des Riffraff, mit der Verbindung von Kino und Gastronomie war visionär, denn die Langstrasse war Ende der 90er Jahre noch Wüste, die Erinnerung an den Letten frisch. Ein Überbleibsel aus dieser Zeit befindet sich beim Riffraff 3: Wenn die Zuschauer in Diskussionen verstrickt, statt dem regulären Ausgang den Notausgang nehmen, landen sie vor einer Treppe. Bleibt man dort stehen, wird man nach einigen Minuten von einer automatischen Dusche überrascht. Wir Platzanweiser nannten sie die Junkiedusche.
Nach den goldenen Anfangszeiten musste sich Frank und mit ihm die Neugass Kino AG, immer neu erfinden. Erst kamen mehr Säle dazu, dann die Übernahme des Bourbakis in Luzern und später die Vision eines neuen Quartierkinos. Das Resultat ist das Houdini, ein sogenanntes Miniplex, mit fünf kleinen, komfortablen Sälen. So stellt Frank inzwischen das Programm für dreizehn Leinwände zusammen. Die Kinoeintritte aber, sind seit Jahren rückläufig und die Flut der neuen Filme gross. Frank sagt, es werde immer schwieriger jedem einzelnen Film Zeit zu geben – und doch versucht er es. Noch immer glaubt er an Mundpropaganda und dass sich nachhaltiger Erfolg auch langsam einstellen kann. Seine Risikofreudigkeit, manchmal auch seine Geduld, haben Einfluss auf die ganze Deutschschweizer Kinolandschaft: «Frank spielt den Film noch eine Woche.»
Zurück zu diesem betrunkenen Morgen irgendwann. Wir reden weiter. Frank erzählt von einem Animationsfilm, an dem er mit Claudius Gentinetta arbeitet. Ein Botenjunge im Nebel, eine Insel am Atlantik, Miniaturschiffe in Flaschen – der Tod einer alten Frau. Eine abstrakte Welt. Ich sehe Frank, der zweifelt und nach dramaturgischer Klarheit sucht. Mit Claudius Gentinetta entstehen drei erfolgreiche Filme in Co-Regie. Nach «Islander's Rest» hat er sich zurückgezogen und wieder angefangen zu malen, Aquarelle und Zeichnungen – nur für sich.
Dezember 2020. Wir frieren vor einer Bäckerei, alle Cafés sind geschlossen. Frank zeigt mir Skizzen, die er jeweils im Zug nach Bern von den unbekannten Mitfahrenden zeichnet auf dem Weg zu seinen Enkeln. Wenige Striche, präzise beobachtet. Die Porträtierten wirken abwesend, weit weg – die Masken verraten die Zeit, in der wir uns befinden. Frank denkt, dass es schwierig wird, nach der Pandemie die Zahlen der Vorjahre zu erreichen - die Krise des Kinos wird sich noch zuspitzen. Macht ihm das Angst? Nein, er schüttelt den Kopf.
Seit knapp dreissig Jahren wählt Frank Filme fürs Kino aus, «um sie mit Andern zu teilen». Ein Idealist, der Macher genannt wird. Die innere Unruhe, das Unwissen, wie ein Film angenommen wird, helfen ihm wach zu bleiben und weiterzumachen. Klar, auch er hat Zweifel, aber jede neue Kinowoche ist eine erneute Wette auf die Zukunft. «Genug? Nein, noch lange nicht.»