
Welche beruflichen Auswirkungen hatte die Pandemie auf Ihre Arbeit?
Matthias Lerf: Keine Festivals, keine grossen Filmpremieren, kaum Kinovorstellungen, das heisst schlicht kein aktueller Stoff, um darüber zu schreiben. Das damit verbundene allgemeine Desinteresse überträgt sich schleichend auf das Publikum, die Redaktionen und letztlich die Kritiker*innen. Immer nur Netflix ist auch keine Lösung.
2020 hat Gewissheiten erschüttert und die Veränderungen in der Medienbranche beschleunigt. Zeichnen sich bereits Lösungen ab, wie man auf diese Schwierigkeiten reagieren kann?
Nein.
In Zukunft, so prophezeite der britische Schriftsteller J. G. Ballard Anfang der 1990er-Jahre, werden wir alle zu Filmkritikern werden müssen, um in der Medienlandschaft nicht die Orientierung zu verlieren. Was soll die Filmkritik heute leisten?
Ach, und Siegfried Kracauer formulierte gut 60 Jahre früher, ein Filmkritiker von Rang sei nur als Gesellschaftskritiker denkbar. Produzent Günter Rohrbach («Das Boot») dagegen rief wenige Jahre später das Ende der Filmkritik aus («das Gift, mit dem sie uns töten…»).
Im Idealfall ist Filmkritik das, was sie immer war und in Zukunft hoffentlich bleiben wird: radikal persönlich, total allgemeingültig, nachvollziehbar, geheimnisvoll, an- und aufregend.
Ist die Filmkritik für das einheimische Filmschaffen verantwortlich?
Selbstverständlich. Genauso wie für das ausländische Filmschaffen.
Im Idealfall ist Filmkritik das, was sie immer war und in Zukunft hoffentlich bleiben wird: radikal persönlich, total allgemeingültig, nachvollziehbar, geheimnisvoll, an- und aufregend.
Welches Werk der Filmkritik oder welche/r Filmkritiker*in hat den grössten Einfluss auf Ihre eigene Arbeit ausgeübt?
Immer noch und immer wieder: Das lange Interview, das François Truffaut mit Alfred Hitchcock führte und 1966 erstmals veröffentlichte (dt. «Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht», erschienen bei Heyne). Weil es auch heute noch bei jedem Herumblättern darin das erweckt, was die Pandemie zu ersticken droht: Lust am Kino.

Das Bild zeigt den Filmkritiker Matthias Lerf in einer der zahlreichen Zoom-Sitzungen von 2020, gezeichnet vom 7-jährigen Ruben Gaberthuel.